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Goethes Erben Tourbericht

Das Konzept der neuen Tour überraschte mindestens genauso wie die neue CD mit dem Arbeitstitel "Blau-Rebell". Man blieb zwar bei der Theateratmosphäre, stellte diese jedoch noch extremer dar. Der Oberbegriff der ganzen Tour (Blau) wurde vehement umgesetzt. Die kalte Stimmung wurde durch weißes und blaues Licht verstärkt, zudem war die Bühne, bis auf den Gitarristen Troy und den Cellisten Harald Lindemann, leer. Mindy und ihre Synties, bzw. ihr Schlagzeug blieben bis zur Mitte des Hauptteils hinter einer weißen transparenten Wand verborgen, zwischendurch konnte man sie mittels Lichteffekten als Schatten wahrnehmen.

Der Gesang Oswald Henkes blieb gleich; doch obwohl die Musik härter schien wurde durch Mindy's unverwechselbare Kompositionen, an denen diesmal Troy mitwirkte, die Stilistik von Goethes Erben dennoch beibehalten.
Thematisch hielten sie sich an den Inhalt der aktuellen CD. Es wurden lediglich einige ältere Stücke, die textlich zur Geschichte paßten (Die Brut, Die Form, Keiner Weint, Spuren im Schnee), im Hauptteil eingeflochten.
Um den Inhalt zu begreifen, drucken wir im Folgenden einfach die Geschichte ab, welche auf den Konzerten an die Besucher verteilt wurde.

"Blau-Rebell"

Die Geschichte einer Flucht
Eine Mutter erinnert sich an ihren verstorbenen Sohn und läßt noch einmal die letzten Monate seines kurzen Daseins Revue passieren. Pascal lebt nur noch in ihrem Traum.

Als Soldat erlebt Pascal das tägliche Morden des Krieges - betrachtet aus dem naiv wirkenden Blickwinkel eines Kindes. Seine Rebellion gegen die diktierte Gewaltorgie einer verblendeten Ideologie (Die Brut) bringt ihn in ein Lager, in dem das unfaßbare Grauen dafür sorgt, das jedes inhaftierte Individuum entmenschlicht wird.
Pascal gelingt die Flucht aus der Gefangenschaft, doch seine Gedanken schweifen immer wieder in die Lagervergangenheit zurück. Das BLAU der kalten Winterlandschaft wird eins mit den flimmernden Bildern der Nachrichten über sein Schicksal, die von seinen eigenen Gedanken emotionslos kommentiert werden. Immer langsamer wird das Tempo seiner Flucht, bis ihn schließlich alle Kräfte verlassen und er erschöpft seinen Körper der Kälte überläßt. Der Schnee bedeckt das Grauen seiner Erinnerungen und zum letzten Mal wird er zum Punkt auf weißer Fläche, zum Rebell.

Wer bestimmt, was Gut oder Böse - was Recht oder Unrecht ist ?

Alles wird in Frage gestellt. Hat die regierende Macht das Monopol auf das Recht oder unterliegt alles allein dem eigenen Gewissen ? Immer tiefer gleitet der Verstand in ein Meer der Träume, wandelt seine FORM.

Pascals Verstand kehrt in die blaue Realität zurück. Seine Spuren im Schnee führen ihn lachend in eine ungewisse Zukunft. Auf dem Weg dorthin begegnet er einer träumenden Frau. 50 Jahre später ... Zurück blieben die Erinnerungen einer Mutter." (copyright by Goethes Erben)

Die Eindrücke die Goethes Erben auf dieser Tour vermitteln, verwirrten zahlreiche Fans ihres vorherigen Stils - vorbei scheint die Zeit der neuen deutschen Todeskunst, das Theater rückt in den Vordergrund.
Es wäre falsch zu behaupten, die Aufführung oder das Konzert wären deshalb schlechter geworden, es ist einfach etwas anderes - aber jeder verändert sich, so auch Goethes Erben. Sie haben einfach eine Show abgeliefert, die nur noch mit dem Begriff Musiktheater treffend beschrieben werden kann.

Wie bei einer Theateraufführung bekam das Publikum kaum die Gelegenheit, zu applaudieren, da die Stücke nahtlos ineinander griffen. Im allgemeinen war die Reaktion auch nicht so überwältigend, was wohl am geringen Bekanntheitsgrad der Stücke lag. Es bleibt einem im Grunde nichts weiter zu sagen, daß diese Tour ein Konzerterlebnis sondersgleichen war, bei dem wohl einige verwirrt aber noch mehr begeistert waren. Goethes Erben stellen einfach immer sämtliche Erwartungen auf den Kopf, man kann sich nie sicher sein, was einem als nächstes offenbart wird.

Nach der Tour hatten wir die Möglichkeit, mit den Erben noch ein kurzes Gespräch bezüglich der neuen CD und der Tour zu führen.

Um die Erben ranken sich ständig irgendwelche Gerüchte, von denen jedoch die wenigsten der Wahrheit entsprechen.: so haben sie z.B. keine Aussage oder Message und sind auch durchaus humoristisch veranlagt, nur scheinbar wollte das bisher einfach niemand wissen, weshalb es so oft anders dargestellt wurde. Jeder Mensch verarbeitet seine Gefühle auf verschiedenste Weise, so auch G.E.. Die negative Darstellung der früheren Gedanken war einfach nur ein Mittel, man hätte sie auch anders darstellen können.
Auch im Line-up hat sich etwas verändert, da Troy von Catastrophe Ballet nun schon seit den letzten 2-3 Jahren ständiger Gastmusiker war, ist er mittlerweile ein vollwertiges Mitglied der Band und hat wie bereits erwähnt, schon bei einigen Songs mitkomponiert.
O.H. fühlt sich in seiner Rolle als Sänger und Hauptakteur auf der Bühne wie ein Schauspieler, er sieht es vom Gesichtspunkt eines Künstlers, der sich verschiedenartig äußert.
So hat der musikalische Umbruch gar nicht unbedingt eine völlige Grundlagenveränderung als Wurzel, die Erben wollen einfach mal auf eine andere Weise an ihre Gefühle herangehen. Dies hatte zur Folge, daß man textlich und musikalisch in neue ungewohnte Dimensionen vordrang. Jeder Anfang kann zu verschiedenen Weiterentwicklungen führen, bei dieser Band wurde eine Gitarre hinzugenommen und gleichzeitig die Live-Präsentation optisch minimiert, es findet nun kein Dialog mehr zwischen dem Publikum und den Künstlern statt.
So hat die Gruppe auch gleichzeitig das Problem gelöst, ständig gegen eine schwarze Wand zu spielen, denn die "neuen" G.E. finden auch bei "Normalen" Anklang. Diese Tatsache überrascht die Band zwar, man jedoch auch eine Antwort dafür, - Gefühle sind einfach nicht kleidungsabhängig. Durch diese Reaktion wird das Trio in ihrer Arbeit nur bestärkt, denn sie wollen Gegensätze ausleben und diese dann auch vermitteln.

Als Schlußwort/-satz bleibt nur noch zu sagen, daß Goethes Erben trotz aller Veränderungen immer noch zu überzeugen wissen, wer damit nicht zurechtkommt ist nur nicht offen genug, um auch mal neue Wege zu gehen.

Mir hat es auf jeden Fall gefallen, in diesem Sinne: Danke an das ganze Erben-Team, es war sehr eindrucksvoll.

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